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Ausgangslage

An der Session vom 18. Februar 2021 wurde der Auftrag Pajic betreffend Selbstbestimmung am Lebensende in Alters- und Pflegeheimen eingereicht, das Gesundheitsgesetz mit folgendem Artikel zu ergänzen: 

Art. 41 Aufnahme- und Behandlungspflicht (neuer Absatz 4)

Personen, welche in Einrichtungen gemäss Art. 17 Abs. 1 lit. c dieses Gesetzes wohnen, haben, insoweit der Betrieb dieser Einrichtungen mit öffentlichen Mitteln unterstützt wird, das Recht, in dieser Einrichtung die Hilfe Beauftragter externer Organisationen für einen begleiteten Suizid nach den in der Schweiz geltenden gesetzlichen Bestimmungen in Anspruch zu nehmen.

Davos, 18. Februar 2021

 https://www.gr.ch/DE/institutionen/parlament/PV/Seiten/20210218Pajic02.aspx

Antwort der Regierung vom 30. April 2021

"In Bezug auf den Freitod herrscht in der schweizerischen Rechtslehre die Auffassung, dass der einzelnen Person die Freiheit zukommt, über Art und Zeitpunkt der Beendigung des eigenen Lebens zu befinden. Dieses Recht folgt zum einen aus der in Art. 10 Abs. 2 der Bundesverfassung (BV; SR 101) gewährleisteten persönlichen Freiheit. Zum anderen stellt es einen Aspekt des in Art. 8 Ziff. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK; SR 0.101) garantierten Rechts auf Achtung des Privatlebens dar. Das Recht auf den eigenen Tod ergibt sich aber auch ganz allgemein aus dem Recht auf Achtung der Menschenwürde (Art. 7 BV). Vom Recht auf den eigenen Tod ist allerdings der Anspruch auf Beihilfe zur Selbsttötung gegenüber dem Staat oder Dritten abzugrenzen. Eine sterbewillige Person hat keinen Anspruch darauf, dass ihr Beihilfe zur Selbsttötung oder sogar aktive Sterbehilfe geleistet wird, falls sie nicht in der Lage sein sollte, ihrem Leben selber ein Ende zu setzen (BGE 133 I 55 E. 6.2.1). Somit würde auch bei einem gesetzlich statuierten Recht der Bewohnerinnen und Bewohnern von Alters- und Pflegeheimen für die Zulassung von Suizidhilfe bzw. im Falle einer Verpflichtung der Einrichtungen, eine solche zuzulassen, keine positive Leistungspflicht der Einrichtung zur Leistung oder Hilfeleistung beim Suizid bestehen.

Die Glaubens- und Gewissensfreiheit gemäss Art. 15 BV beinhaltet die Freiheit, für die persönlichen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen einzutreten und sich entsprechend zu verhalten. Sie garantiert einerseits die Freiheit des Einzelnen, frei von jeglichem Rechtsnachteil sein Verhältnis zur Religion in der Bildung einer Überzeugung bis zum Bekennen, allein oder in Gemeinschaft, gestalten zu können. Andererseits kann sich auch eine Person darauf berufen, wenn der Staat von ihr verlangt, eine bestimmte Handlung des Staats oder von Dritten zu dulden, welche mit deren Gewissen kollidiert. Somit kann die Glaubens- und Gewissensfreiheit als Individualrecht von verschiedenen Beteiligten geltend gemacht werden. So kann sich unter anderem das Pflegepersonal, das in einer Institution mit primär pflegendem oder palliativem Zweck tätig ist, direkt auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit berufen. Schliesslich kann auch das Alters- und Pflegeheim selbst Rechtsträger der Glaubens- und Gewissensfreiheit sein, allerdings nur, sofern es gemäss seinen Statuten ein religiöses oder kirchliches Ziel verfolgt (vgl. BGE 142 I 195).

Die Unterstützung eines Menschen bei der Verwirklichung eines bereits gefassten Entschlusses zur Selbsttötung ist gemäss Art. 114 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB, SR 311.0) straflos, wenn die sterbewillige Person urteilsfähig ist, selber handeln kann und die helfende Person nicht aus selbstsüchtigen Beweggründen handelt. Aus strafrechtlicher Sicht ist Suizidhilfe mitunter dann problematisch, wenn die Suizidhandlung nicht eigenverantwortlich ausgeführt wurde oder die suizidwillige Person nicht urteilsfähig war. Die suizidwillige Person muss stets die alleinige Tatherrschaft über die tödliche Handlung haben und zudem ihre Handlung jederzeit vernunftgemäss beurteilen können. Idealerweise sind diese Voraussetzungen klar zu dokumentieren, allenfalls via Video.

Im Kanton Graubünden besteht keine gesetzliche Regelung zum Thema Sterbehilfe. Die Suizidbegleitung in Alters- und Pflegeheimen wird bereits heute im Rahmen des Betriebsbewilligungsprozesses thematisiert, jedoch in den Alters- und Pflegeheimen unterschiedlich gehandhabt. Ob eine Institution in ihren Räumlichkeiten Sterbehilfe zulässt oder nicht, entscheidet die Trägerschaft zusammen mit der Heimleitung und der Leitung Pflege. Heute lassen bereits verschiedene Alters- und Pflegeheime im Kanton Graubünden die Suizidbegleitung zu. Der Fachstelle Spitex und Alter des Gesundheitsamts wurde bisher weder ein Projektantrag des Bündner Spital- und Heimverbands bezüglich einer im Kanton einheitlichen Umsetzung zur Sterbehilfe noch eine Beschwerde, dass eine Suizidbegleitung nicht ausgeführt werden durfte, eingereicht.

Nach Art. 36 Abs. 1 BV muss jede Einschränkung eines Grundrechts eine gesetzliche Grundlage haben; schwerwiegende Einschränkungen müssen gesetzlich vorgesehen sein (BGE 139 I 280, Erw. 5.1, S. 284, und die zitierten Verweise); vorbehalten sind Fälle schwerer, unmittelbarer und drohender Gefahr. Darüber hinaus muss jede Einschränkung eines Grundrechts durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz eines Grundrechts anderer gerechtfertigt sein und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen (vgl. Art. 36 Abs. 2 und 3 BV). Eine entsprechende Bestimmung muss diesen Voraussetzungen genügen. Dies bedarf einer rechtlichen Prüfung, die aufgrund der derzeitigen Arbeitsbelastung der Mitarbeitenden des Gesundheitsamts nicht vorgenommen werden konnte.

Aufgrund dieser Ausführungen beantragt die Regierung dem Grossen Rat, den vorliegenden Auftrag wie folgt abzuändern:

Es sei ein Gesetzesartikel zu schaffen, welcher Personen, die in mit öffentlichen Mitteln unterstützten Einrichtungen gemäss Art. 17 Abs. 1 lit. c des Gesetzes zum Schutz der Gesundheit im Kanton Graubünden (Gesundheitsgesetz, GesG; BR 500.000) wohnen, das Recht einräumt, in dieser Einrichtung die Hilfe von externen Organisationen für einen begleiteten Suizid beizuziehen. Dies unter Berücksichtigung der in der Schweiz für den begleiteten Suizid geltenden Bestimmungen." 

Schaffung eines Gesetzesartikels
Nach Diskussion und Abstimmung im Grossen Rat, überwies der Grosse Rat den von der Regierung abgeänderten Auftrag Pajic ohne weitere Änderungen zurück an die Regierung. Diese hat nun das Gesundheitsamt beauftragt einen entsprechenden Gesetzesartikel zu erarbeiten, welcher mit einer umfassenden Teilrevision in die Vernehmlassung gehen wird, wo sich die Bevölkerung, Organisationen, Institutionen, Parteien, Kirchen etc. nochmals zur Teilrevision äussern können. Nach einer möglichen Überarbeitung und Verabschiedung der Regierung wird diese Teilrevision von der parlamentarischen Kommission Gesundheit und Soziales (KGS) vorberaten, eventuell mit Anpassungsvorschlägen versehen und dann dem Grossen Rat zur Debatte und Verabschiedung vorgelegt.

Möglicher weiterer Verlauf
Grundsätzlich könnte die bestehende Regelung beibehalten werden.
Würde ein Gesetzesartikel mit einer Zwangsbestimmung verabschiedet, besteht die Möglichkeit eines Gesetzesreferendums (Unterschriftensammlung). Bei erfolgreicher Sammlung der notwendigen Unterschriften erfolgt eine Volksabstimmung.